Quantcast
Channel: SBV – Schweizer Bauwirtschaft
Viewing all articles
Browse latest Browse all 22

«Der Romandie muss Gehör geschenkt werden»

$
0
0

Seit dem 1. Januar 2019 ist Flavio Torti Vizepräsident des Zentralvorstandes des SBV, in dem er mit René Leutwyler die Romandie vertritt. Ein Gespräch mit einem engagierten und vorausschauenden Unternehmer.

Herr Torti, wie legen Sie dieses neue Mandat aus, sowohl in Bezug auf die Romandie wie auch auf den SBV im Allgemeinen?

Flavio Torti: Ich verstehe es in erster Linie als eine Art Antriebsriemen zwischen der Romandie und dem Zentralvorstand, und zwar in beide Richtungen. Es geht darum, die Themen, die die Westschweizer beschäftigen, aufs nationale Parkett zu bringen. Gleichzeitig sollen aber auch gesamtschweizerisch diskutierte Themen an die Romandie weitergegeben werden.

Trotzdem sind die nationalen und regionalen Prioritäten nicht immer dieselben.

Torti: Das trifft insbesondere auf eine Region wie die Romandie mit stark ausgeprägten Eigenheiten zu, wie beispielsweise einem Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern von über 70 Prozent oder einer grossen Zahl ausländischer Arbeitnehmer, darunter die Grenzgänger. Auch ist der soziale Dialog in der Region aus historischen Gründen fest verankert, und die Romandie hat in der vordersten Reihe am Landesmantelvertrag mitgewirkt. Zudem darf man nicht vergessen, dass die Westschweiz im Baubereich über einen Arbeitsvorrat von mehreren Milliarden Franken verfügt, besonders in der Region Genfersee. Es ist daher unabdingbar, dass der Romandie auf nationaler Ebene Gehör und Respekt geschenkt wird, zumal sie auch knapp 30 Prozent des SBV ausmacht.

Andere Regionen haben genauso ihre Eigenheiten.

Torti: Natürlich. Die Schweiz ist ein kompliziertes Land mit teils sehr unterschiedlichen Subkulturen und klimatischen Bedingungen. Ganz zu schweigen von den Grundregeln, die je nach kantonaler Gesetzgebung stark variieren, Föderalismus sei Dank. Daher ist es umso wichtiger, dass sich der Zentralvorstand dieser Realitäten stets bewusst ist, um Lösungen vorzuschlagen, die sowohl umsetzbar als auch sinnvoll sind.

Wie findet man einen Kompromiss, wenn die Fronten verhärtet sind?

Torti: Der Zentralvorstand kann und soll eine Brückenfunktion zwischen den beteiligten Parteien übernehmen, intern wie extern. Oft sind Lösungen bereits vorhanden und an gewissen Orten sogar schon umgesetzt. Ich denke hier an das Wallis, wo die Sozialpartner Winterarbeitszeiten vereinbaren konnten, um eine gewisse Flexibilität herzuleiten. Das Aufzeigen dieser konkreten Übereinkunft, die auch an anderen Orten Schule machen könnte, hat es ermöglicht, bei den Verhandlungen zum Landesmantelvertrag aus einer festgefahrenen Situation herauszufinden. Es ist unsere Aufgabe, und damit auch die des Zentralvorstandes, den Baumeistern effiziente Instrumente zur Verfügung zu stellen, besonders wenn Gesetzeslösungen bereits existieren.

Beim Thema der nationalen ISAB Card stellt man unterschiedliche Sichtweisen fest.

Torti: Im Grunde genommen herrscht Konsens, was die gesamtschweizerische Einführung dieser Karte betrifft. Die Idee hinter diesem Instrument, mit dem diejenigen Unternehmer unterstützt werden sollen, die die Gesetze und Regeln respektieren, um gleichzeitig die Schwarzarbeit zu bekämpfen, stammt aus der Westschweiz. Genf hat den Badge bereits vor knapp 20 Jahren eingeführt, und andere Westschweizer Kantone haben rasch nachgezogen. Im Gegensatz dazu gibt es andere Kantone, die heute quasi bei Null anfangen. Wir müssen daher ein Gleichgewicht finden, da nicht alle auf demselben Niveau sind. Einen Kompromiss zu finden, dürfte schwierig sein, denn der Westschweizer Badge verlangt eine Art soziale Identifikation, während andere Regionen weniger strikte Anforderungen haben, was die Sicherheit der Karte angeht, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen.

Birgt diese Karte nicht auch gewisse Risiken?

Torti: Der Badge soll keineswegs protektionistische Folgen haben, sondern ein nützliches, effizientes Instrument zuhanden der Unternehmen sein. Er soll als eine Art Label für Firmen verstanden werden, die ihn bereits einsetzen. Ein Label, das garantiert, dass die Firmen die Regeln beachten. Das Beispiel Genf zeigt, dass der Badge mit echten Strafmassnahmen verknüpft sein muss, um glaubhaft zu sein, wie beispielsweise die Blockierung einer Baustelle, wenn Verstösse festgestellt werden. Gleichzeitig sollte der Badge im Zuge von Ausschreibungen keinesfalls diskriminierend sein, denn er ist noch nicht flächendeckend eingeführt.

In diesem Wahljahr ist die Politik in aller Munde. Wie sehen Sie die aktuelle Situation?

Torti: In der Vergangenheit wurde die Baubranche dank ihrem wirtschaftlichen Gewicht von der Politik beachtet. Die Vielzahl an neuen Normen hat eine juristischere, finanztechnischere Sichtweise mit sich gebracht, und unsere Branche ist heute kaum mehr vertreten in Bern.

Jedoch sind andere Branchen, die ebenfalls mit einem Überfluss an Normen zu kämpfen haben, in Bern gut vertreten.

Torti: Das stimmt. Neben einer zu geringen Anzahl an Kandidaturen aus unseren eigenen Reihen hat die Baubranche meiner Meinung nach ein Imageproblem. Daher zögern die Politiker, uns zu vertreten. Wir müssen lernen, zu kommunizieren und uns zu verkaufen. «Wir bauen die Schweiz» ist nicht einfach ein Slogan, nein, wir tragen massgeblich zur Entwicklung der Schweiz bei. Die Branche macht mehr als 9 Prozent des BIP aus und das Bauhauptgewerbe vertritt mehr als 80 000 direkte Arbeitsplätze. Das müssen die Leute wissen, wenn wir an Unterstützung zulegen wollen.

Es handelt sich also einzig und allein um ein Kommunikationsproblem?

Torti: Nein. Die Unternehmer sind immer mehr unter Druck, besonders im Hinblick auf die Preise, und die Fälle von Burn-out nehmen zu. Gleichzeitig stellt man eine Professionalisierung der Politik fest. Es ist daher für unsere Branche so wichtig wie nie zuvor, sich strukturiert zu organisieren, besonders innerhalb des SBV. Auf nationaler und regionaler Stufe haben wir unsere Lobbying-Massnahmen im Laufe der letzten Jahre verstärkt. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen und gemeinsame Sache machen, um als Branche Gewicht zu haben und beachtet zu werden.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Baubranche?

Torti: Ich denke, dass wir mittelfristig eine Konsolidierung von Unternehmen erleben werden, die zu weniger, jedoch grösseren Firmen führt. Aus konjunkturpolitischer Sicht sehen wir, dass Gemeinden und Kantone investieren, was ein gutes Zeichen ist. Der NAF bietet ebenfalls eine gute Arbeitsreserve, und wir haben in der Schweiz das Glück, auf eine funktionierende Verwaltung zählen zu können. Dies ist von Vorteil, da der Klimawandel unweigerlich Katastrophen auslösen wird, die oftmals grosse, dringende und strategisch entscheidende Arbeiten mit sich bringen. Diese nicht planbaren Grossbaustellen bedingen viel kürzere Abläufe, zumal die Ausführungsfristen bereits auf ein Maximum verkürzt sind und nicht noch weiter beschleunigt werden können.

Wo orten Sie die grössten Herausforderungen für unsere Branche?

Torti: Die grösste Herausforderung unserer Branche ist es, den Nachwuchs sicherzustellen. Der Masterplan «SBV-Berufsbildung 2030» ist daher von zentraler Bedeutung. Wir müssen viel Anpassungsfähigkeit an den Tag legen, um den Jungen neue Instrumente bieten zu können, wenn wir sie anziehen wollen. Unsere Berufsbilder verändern sich laufend, und die Digitalisierung wird neue Entwicklungen in der Branche und auf der Baustelle mit sich bringen. Das stellt eine echte Chance dar, um die Jungen anzuziehen, und könnte uns auch ermöglichen, mehr Frauen für die Baubranche zu begeistern.

Führt der Einsatz von Technologie nicht etwa zu einer Entmenschlichung unserer Berufe?

Torti: Nein. Der Mensch wird immer im Zentrum stehen. Die Digitalisierung ist eine wahre Chance für die Schweiz, ein Land, das für seine Spitzenleistungen und Innovationskraft bekannt ist. Ausländische Firmen investieren in unsere Schulen, während Schweizer Unternehmen ihre Technologien in die ganze Welt exportieren. Mit unseren zahlreichen Tunnels, Brücken und Bergen ist das Bauen in der Schweiz schwieriger als in anderen Ländern, weshalb wir an die Spitze gehören. Wir müssen diese technologischen Errungenschaften integrieren, die es uns ermöglichen, neue Herausforderungen anzunehmen, wie beispielsweise im Bereich des ökologischen Bauens. Schliesslich ebnet einzig und allein die Bildung den neuen Technologien den Weg. Daher ist es wichtig, daraus eine Priorität zu setzen.

Interview: Corine Fiechter

 


Viewing all articles
Browse latest Browse all 22

Latest Images

Trending Articles